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Salz und Pfeffer - Jose Cortijo und der Latin Jazz

„Latin Jazz“ und „Latin“ – darunter stellen sich viele Laien vermutlich ein- und dasselbe vor. Dabei handeltes sich um zwei verschiedene Richtungen. Wie sehr ist beides heute voneinander noch getrennt?

Für mich ist es keine Einheit. Wer von Jazz spricht, denkt oft auch, es ist Swing. Mit dieser Art von Jazz habe ich, bedingt durch meine Instrumente, Congas und Perkussion, nichts zu tun. Jazz ist eigentlich eine improvisierte Musik, wo harmonisch und melodisch mehr passiert als in der Volksmusik oder in der Tanzmusik, wobei Jazz am Anfang auch Tanzmusik war. Später wurde es zur Kopfmusik.

Ihnen ist die Verbindung zum Tanz wichtig. Stehen Sie dem Latin daher näher als dem Jazz?

Ja. 

Gibt es für Latin in dieser Hinsicht eine Gemeinsamkeit, die die Stile verbindet, so wie es den Blues gibt, der historisch die Basis für den Jazz ist. 

Nein, das ist zu vielfältig. So auch beim Latin Jazz. Wenn wir von Spanien sprechen, geht es seit einiger Zeit vor allem um „Flamenco Jazz“. Da werden traditionelle Rhythmen mit Jazz kombiniert. Das passiert auch sonst mit Latin Jazz. Man nimmt traditionelle Rhythmen wie Cha Cha Cha, Rumba oder Mozambique und harmonisiert es als Jazz. Eigentlich ist Latin Jazz komplett zum Tanzen da, wenn man sich die Legenden dieser Musik, also Machito, Mario Bauza, Tito Puente oder Eddie Palmieri, anhört. Auch Salsa ist so ein Konglomerat: ein Gemisch aus traditionellen Rhythmen mit Rock, Jazz, Pop, alles in einen Topf geworfen, umgerührt und dann kommt die „Soße“ raus. „Salsa“ heißt ja wörtlich „Soße“. 

Wenn es speziell um Tanzrhythmen geht, sind die Unterschiede zwischen Deutschland und Spanien sicher groß. Gibt es auch innerhalb der lateinamerikanischen Länder große Unterschiede? 

Sagen wir so: Südländische Musik oder auch afrikanische Musik tritt immer in Verbindung mit Tanz auf. Wenn wir von Lateinamerika global sprechen, und das ist ja eine ganze Menge, da gibt es Unmengen an Rhythmen, und fast jedes Land hat seinen eigenen Tanz, seit eh und je. Überall, wo die Musik der Trommel eine starke Tradition hat, ist immer der Tanz dabei. In Deutschland müsste man historisch danach suchen. Ich gehe davon aus, dass das mal hier war, aber irgendwann im Alltag verloren gegangen ist.

Sie haben die World Percussion Academy gegründet. Bei den Lehrveranstaltungen werden unterschiedliche Instrumente und Rhythmen aus der ganzen Welt berücksichtigt. Wie kam es zu dieser Öffnung gegenüber anderen, nicht-lateinamerikanischen Kulturen?

Das beginnt schon damit, dass es bestimmte Rhythmen gibt, die man fast auf der ganzen Welt findet. Zum Beispiel einen Groove, der der lateinamerikanischen „Clave“ ähnlich ist, eine so genannte Dreier-Form. Diese Muster findet man in verschiedenen Kulturen, bei türkischen Rhythmen, bei arabischen, spanischen, zum Beispiel im Flamenco, bei brasilianischen, bei afrikanischen Rhythmen. Aber durch das ganze Drumherum, ob das auf einer Darbuka, einer Rahmentrommel gespielt wird, auf einer Conga oder einer Djembe, gewinnt es einen anderen Charakter.

Heute kann man als Perkussionist nur mit einem Instrument nicht seine Miete bezahlen. Ich vergleiche unseren Job gern mit einer Arbeit im Restaurant. Der Schlagzeuger ist der Chef, der Taktgeber. Wir Perkussionisten sind in der Musik die Köche. Wir geben die Farben bei. Hier ein bisschen Salz, da ein bisschen Pfeffer. Nur bei Salsa ist umgekehrt. Tatsache ist, dass man als Perkussionist heute immer mehr wegen des Sounds gefragt ist. Man merkt es in der Popmusik, dass hier und da mal eine Tabla, mal eine Darbuka zum Einsatz kommt, weil es ein anderes Flair reinbringt. Das macht es für uns nicht einfach, weil es sehr, sehr viele Instrumente und Techniken gibt. Deswegen muss man sich spezialisieren. So ist es auch in der World Percussion Academy, zu der ich unterschiedliche Spezialisten aus Afrika, Indien, Brasilien etc. einlade.

Mit welchen Instrumenten spielen Sie am liebsten?

Mein Schwerpunkt liegt in der afrokubanischen Sparte, ein bisschen auch im Brasilianischen. Ich verwende gerne Timbales und Congas und das aus Peru stammende Cajon, das im Flamenco als Hauptinstrument eingesetzt wird. Da ich in meinem Alter nicht mehr so viel Lust zum Schleppen habe, habe ich mich zudem auf die kleine Percussion spezialisiert. 

Welche Aufnahmen sind für Sie Meilensteine des Latin Jazz?

Aufnahmen speziell würde ich nicht hervorheben. Es gibt einige Leute, die ich Ihnen genannt habe, die man im Latin Jazz schon gehört haben sollte: Machito mit seiner Salsa Big Band, Mario Bauzá, Tito Puente, Ray Baretto, Palmieri. Es gibt bestimmt noch ein paar mehr, aber das sind schon die Legenden.

Sie sind in Barcelona aufgewachsen. Der Latin Jazz ist dort stark vom Flamenco beeinflusst. Haben Sie das noch hautnah mitbekommen?

Bis 1975 hatten wir ja die Diktatur in Spanien. Da gab es außer Klassik nicht viel. Erst 1978 wurde in Barcelona die erste Jazz-Schule gegründet. Percussion stand da jedoch an hinterster Stelle und es gab dafür auch keinen Lehrer.

Wie fanden Sie dann die Situation vor, als Sie 1983 nach Deutschland kamen?

Mit Percussion genau so schlecht wie in Spanien. Von den musikalischen Angeboten gab es aber schon mehr als in Spanien. Mitte der 80er begannen die Salsa-Bands aus den Boden zu schießen, da es über die Armee sehr viele Puertoricaner hier gab. Aber das war ein Boom. Der ist inzwischen vorbei.

Meiner Einschätzung nach sind Konzerte mit lateinamerikanischer Musik noch immer sehr gut besucht. 

Ja, sie sind gut besucht, weil es etwas Exotisches hat. Aber es ist weiterhin eine Nische. Versuchen Sie mal, eine Latin Band hier zu verkaufen. Leicht ist es nicht. 

Sie wurden in Deutschland der erste staatlich anerkannte Musiklehrer für afrokubanische Percussion. Ich kann mir vorstellen, dass um den Lehrstuhl einige Projekte entstanden sind.

Ja, es beginnt langsam. Meine Ex-Studenten fangen an, in städtischen Musikschulen Perkussion im Nebenfach zu unterrichten und mir Schüler zu schicken, die eine Aufnahmeprüfung machen wollen. Aber insgesamt ist es schon noch sehr flaches Land.

Dabei ist der Rhythmus gerade im Jazz, wenn man sich mal umhört, der schwierigste Teil. Beim Timing treten häufiger als bei der Intonation Ungenauigkeiten auf. Machen Sie die gleiche Beobachtung?

Ja, auf jeden Fall. Ich unterrichte in Mannheim auch Rhythmik für alle. Da merke ich: Es gibt Leute, die beschäftigen sich viel mit Tönen, aber nicht mit dem Groove. Da muss man klarstellen: An erster Stelle steht der Rhythmus. Es gibt keine Melodie ohne Rhythmus. Die Ansicht, dass ein guter Schlagzeuger schon die Band führen kann, ist ein Märchen. Wenn der Bassist oder der Saxofonist ihre Noten nicht auf den Punkt nageln, dann hilft der beste Schlagzeuger nichts. Wenn der Rhythmus groovt, dann funktioniert schon 90 Prozent. Der Rhythmus ist das A und O. Das ganze Leben ist Rhythmus.