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Die 1970er: Expedition Subkultur

Im August 1974 wurde der bis heute bestehende Bamberger Jazzclub gegründet. Einen Monat später veröffentlichte Franz Zappa sein Live-Album „Roxy & Elsewhere“. Auch der amerikanische Konzeptmusiker wandte sich zu einer Zeit dem Jazz zu, als dieser schon mehrfach totgesagt war und ließ per Platte wissen: „Jazz ist nicht tot, er riecht nur komisch“. Erst 1972 hatte Don Mc Lean in seiner Untergangshymne „American Pie“ das Ende der Pop-Musik besungen („The day the music died“). Friede ihrer Asche.

Der Jazz erlebte in Bamberg eine überraschende Wiederauferstehung. Im Herbst 1973, einem im Übrigen eher mageren Musikjahr, setzte ein Inserat im Fränkischen Tag den entscheidenden Impuls. „Freunde des Jazz, bitte melden!“, lautete der Text der Anzeige, die der Jazz-Enthusiast Wolfgang Metzner aufgegeben hatte. Sage und schreibe drei Bamberger folgten dem Aufruf. Das war noch keine Revolution, aber ein Anfang. Man traf sich in der Galerie Hoffmann, Unterer Stephansberg. Zu dem Kreis gesellte sich der Fotograf und Musiker Uwe Gaasch, zu dieser Zeit Mitglied der Rockgruppe ELEKTRA. Als Verbündete kamen hinzu: der Landschaftsarchitekt Randolf John, der seinerseits viele Kontakte mitbrachte, so gerade zu tschechischen Musikern, und neben ihm der Schleusenwärter Andreas Vogt. Dieser um Wolfgang Metzner erweiterte Kristallisationskern genügte für die Wiedergeburt einer alten Errungenschaft. 

Es dauerte kein Jahr bis zum ersten Konzert. Im Sommer 1974 gab die Prager Band Celula um den Trompeter Laco Deczi ihr erstes Konzert in Bamberg. Das erste Jazzkonzert seit über einem Jahrzehnt der Abstinenz. Hitziger Hardbop im Keller der Krugbräu, Stegaurach, und der Auftakt zu überraschend andersartiger Musik. Nur wenig später brachte Gunter Hampel auf einem Altstadtfestival in Bamberg mit brennend intensivem Free Jazz die Luft zum Glühen. Im Umfeld dieses denkwürdigen Festivals tummelten sich mehrere Interessengruppen: die Jazz-Freunde, die Schutzgemeinschaft Alt Bamberg, die das Festival organisiert hatte (federführend: Alexander Ochs), die Rockgruppe ELEKTRA mit ihrem damaligen Manager Peter Funk und eine lose Verbindung um Prof. Peter Zlonicky, der in einem Gutachten Empfehlungen für eine Belebung der Altstadt abgegeben hatte.

Gründung auf dem Keller

Im Nu stand die Tür zu einem Jazzclub weit offen. Mehr als ein Dutzend Interessierte hätten sich hier getroffen, die einen Club aktiv unterstützen wollten, erinnert sich Peter Funk. Als der enge Kreis Anfang August zu einer Feier bei Horst de Parade zusammenkam, entschloss man sich spontan zur Gründung. Sie fand in einem denkwürdigen Rahmen statt: in einem barocken Feldhüterhäuschen auf dem Stephansberg. Dort betrieb Horst de Parade einen selbst ernannten „Keller“ mit eigenen Bierkrügen und Servietten, die so genannte „Villa Emma“. Auf einer dieser Papierservietten wurde die Gründung festgehalten. Gründungsmitglieder: Wolfgang Metzner, Horst de Parade, Monika Funk, Peter Funk. Randolf John trug seine Unterschrift nach.

War es Zufall oder Schicksal, dass schon im Vorfeld ein Keller an der Entstehung mitwirkte, noch bevor der Jazzclub überhaupt in den Keller ziehen konnte? Es war auf jeden Fall erfolgreich. Denn die Satzung wurde am 1. Oktober bei der ersten Mitgliederversammlung im Luitpoldkeller (ehemaliges „La Paloma!), an der ganze 100 Menschen teilnahmen, angenommen und mit Beifall begrüßt. Das Konzept der Gründer schrieb fest: „auf keinen Fall Vereinsmeierei, ein Angebot besonders für Bambergs Jugend, keine Gewinne erwirtschaften, eine Alternative zum kommerziellen Musikangebot schaffen.“ In diesem Sinne ging das erste Konzert im Luitpoldkeller über die Bühne. Mitwirkende: das Spontan Music Trio (Free Jazz), Celula aus Prag (Hardbop), das Trevor Richards New Orleans Trio und das René Franc Quartett mit Raymond Pohl (Swing Dixieland). Ein Schlag ins Kontor sei das Konzert gewesen, urteilt Peter Funk, allerdings habe sich der Keller als zu groß erwiesen. Der Gastwirt habe ohnehin aufhören wollen und so nahm die Odyssee ihre Fortsetzung.

Der Weg in den Keller

Ein Jahr lang war die ehemalige Mahrs-Bräu auf dem Stephansberg das Zuhause, der Betreiber Rudi Michel unterstützte als Fan den Club. Als er für sein Studium nach Weihenstephan ging, war die schöne Zeit auch zu Ende. Als nächstes lockte der Michelsberg. Der Club war drauf und dran, sich dort im Klosterkeller, dem heutigen Brauereimuseum, einzunisten, zog das Vorhaben wegen irrsinniger Investitionen jedoch zurück. Von da an nomadisierten die Jazz-Freunde durch die Stadt und suchten ein Quartier: im Stephansberger Stollen von Hans Förtsch, im Einhorn (damals noch Sandstraße) und in einem Hinterhof der Oberen Sandstraße 18. In der Sandstraße angekommen, klagten sie dem Chef des Weinstüberls, Klaus Plasa, ihr Leid. Der eröffnete ihnen eines Tages etwas von einem geräumigen Keller, den er auf einem Plan entdeckt habe, so Peter Funk. Da wäre ein Geschäft zu machen, hieß es. Ausgerüstet wie Bergarbeiter zog der Trupp los. Durch ein selbstgehacktes Loch sei man hineingekrochen, erinnert sich Monika Funk. Und da, im Schein des Kerzenlichts, umgeben von Chaos und schwärzester Dunkelheit, wurde allen klar: Hier ist der Keller! Hier ist das Glück! Alles Gute kommt von unten. Auch der Mensch fing wahrscheinlich einmal ganz unten an, auf allen Vieren kriechend.

Zwischen dem Menschwerden und dem Jazz liegt die Arbeit, die Jazzkellerentstehungsarbeit. In Tausenden von Stunden hieß es mauern, weißeln, putzen, installieren etc. etc., führt Monika Funk aus. Das schweißte natürlich zusammen. Vorangetrieben wurde der Ausbau handwerklich von Dieter Fleckenstein, der zu Zeiten des ersten Clubs Vorstand im „Cafe Jäger“ war und als Manager der Remi Dixielanders Erfahrungen mit dem Geschäft hatte. Besonders zu würdigen ist zudem Randolf Johns Beitrag, mit dem Equipment und der Manpower seiner Gartenbaufirma sprang er des Öfteren in die Bresche. Als Hausherr finanzierte die ehemalige Bamberger Brauerei Hofbräu (Pödeldorferstraße) einen großen Teil der Sanierung. Die Aktiven des ersten Clubs hielten sich bis auf Hans Förtsch lange Zeit zurück. Es war inzwischen eine andere, jüngere Generation am Werk, die ihre prägenden Erlebnisse im Zusammenhang mit den „68ern“ gemacht hatte.

Die Wahl eines Kellers sei daher kein Zufall gewesen, sagt Peter Funk. Alle hätten diese Atmosphäre mit „so ein bisschen Underground-Charakter“ angestrebt. Als „linksalternativ“ wollte sich im heißen Herbst 1977 kaum jemand „outen“, es sei denn, er wollte den Verdacht wecken, ein „Sympathisant“ der RAF zu sein. Mitten in dieser aufgeregten Zeit, im Oktober 1977, war der Jazz-Club über die Parteien hinweg anerkannt. Zur offiziellen Eröffnung im Oktober 1977 erschienen sogar die politischen Würdenträger der Stadt, unter ihnen Oberbürgermeister Theodor Matthieu (CSU), ein heimlicher Jazz-Sympathisant. Sie sollten sehen, dass der Club es ohne viel Geld, ohne Subventionen, in Eigeninitiative geschafft habe, kommentiert Monika Funk die Entwicklung.

Das Programm des Kellers passte ohnehin nie in eine provisorische Schublade wie „progressiv“ bzw. „konservativ“. Extreme gab es anfangs in beiden Richtungen. Sie ergänzten sich offenbar ganz gut, wie Dieter Fleckensteins Anmerkung verrät. Das Geld, das der Club mit Dixie und Blues eingespielt habe, konnte er demnach für Free Jazz wieder ausgeben. Die Freundschaft mit dem Jazz Studio Nürnberg und mit osteuropäischen Musikern währte fort. Auch die Beziehungen zu den Lokalmatadoren um Tex Döring. Der Geiger Max Kienastl und die hiesigen „Onion Stompers“ („Babbist“ Schreiner, Heiner Wohlfart, Wolfgang Lau, Hans-Peter Winkelmann, Beni Kulla) gingen im Club ein und aus.

Randolf John, seinerseits eher ein Free-Jazz-Anhänger, ließ es sich nicht nehmen, an den Glanz alter, versunkener Tage anzuknüpfen. Auf dem Regnitzdampfer „Frankonia“ lud er zu einem riesigen Jazzfest mit gemischtem Programm ein. Die Tour führte vom Baggerloch bei Bamberg-Viereth über Bamberg bis zur Strullendorfer Schleuse und zurück. Hin und her, den ganzen Abend und die ganze Nacht. Das Gepäck aus Traditionspflege und Erneuerung, dem der Jazz bis heute seine Spannung verdankt, war geschnürt. Dem Publikum gefiel die Fahrt in der Zeitschleife. Die Wege des Clubs aber blieben verschlungen.

Textquelle: Buch "Jazz Keller Bamberg" von Oliver van Essenberg